Der Brauch, während der österlichen Bußzeit zunächst den ganzen Chorraum, später nur den Hauptaltar zu verhüllen entstand in Klöstern nördlich der Alpen und ist schon um das Jahr 1000 nachweisbar. Die großen Vorhänge, die den Blick auf den Hochaltar und das Allerheiligste verhinderten oder zumindest beeinträchtigten, erhielten bald den Namen „Hungertücher“, weil sie eben nur zum Ende der früher noch strengeren Fastenzeit Verwendung fanden. Waren es zunächst noch einfach, oft ungefärbte Leinentücher, so wurden diese seit dem hohen Mittelalter oftmals mit Passionsmotiven bemalt oder – in jüngerer Zeit – in der liturgischen Farbe der Bußzeit, dem Violett, gefärbt.
Die Altarverhüllung in der Fastenzeit galt als zusätzliche Bußübung der Gläubigen. Zur körperlichen Buße des Fastens trat die seelische und sinnliche: Das Tuch nahm der Gemeinde den tröstlichen Blick auf den – zumeist prächtig gestalteten - Altarraum und die verehrten Reliquien. Für zwei lange Wochen war es nur mehr möglich, die Liturgie hörend zu verfolgen und steigerte so das Verlangen, den göttlichen Glanz in der Liturgie des Osterfestes von neuem zu entdecken. (Diese Sehnsucht, zu sehen, bringt Thomas von Aquin in seinem berühmten Hymnus „Adoro te“ so gefühlvoll zum Ausdruck: „Einst am Kreuz verhüllte sich der Gottheit Glanz … Jesus, den verborgen jetzt mein Auge sieht, stille mein Verlangen, das mich heiß durchglüht: lass die Schleier fallen einst in deinem Licht, dass ich selig schaue, Herr, dein Angesicht!“
Der - allerdings keineswegs einheitliche - Gebrauch des Fastentuches änderte sich mit den theologischen Auffassungen immer wieder. Als in der Gotik das Sehen wollen des Mysteriums und des Geschehens am Altar in den Vordergrund trat, gewannen die – kleiner werdenden – Hungertücher mehr und mehr symbolischen und dekorativen Charakter. Stattdessen entstanden vielmehr „Zeigegeräte“ wie kostbare Monstranzen für die Eucharistie oder wertvolle Ostensorien für die Reliquien: Schließlich fielen nicht nur die Hungertücher, sondern auch vielerorts die Lettner (Chorschranken) in den Kirchen, die ohnehin schon immer den Blick in den Chorraum der Kirche beschränkten, dem neuen Bedürfnis zum Opfer, „mit Augen, Mund und Händen“ an der göttlichen Liturgie teilzuhaben.
Eine erste Wiederbelebung nach dem II. Vatikanischen Konzil erfuhren die Hungertücher übrigens 1976 durch die Bischöfliche Aktion „Misereor“: Alle zwei Jahre gestalten seitdem Künstler aus verschiedenen Regionen der Weltkirche jeweils ein neues Hungertuch, das in vielen Kirchen aufgehängt wird und auf die Fastenaktion hinweisen soll (Misereor-Hungertuchgalerie). Die Verhüllung der Kreuze und mancherorts auch der Bilder, die mit dem Messbuch von 1570 für die ganze Kirche allgemein vorgeschrieben war, wurde durch das II. Vaticanum zu einer Soll-Bestimmung. Dennoch hat sie sich erfreulicherweise in den meisten Kirchen aller Bilderstürmerei der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Trotz bewahrt, so auch in unserer altehrwürdigen Cappenberger Stiftskirche.